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08.12.2009 18:00

Testosteron macht nicht streitlustig

Beat Müller Kommunikation
Universität Zürich

    Das Vorurteil, Testosteron bewirke beim Menschen aggressives, selbstbezogenes und riskantes Verhalten, wird durch neue Experimente widerlegt. Die Studie der Universitäten Zürich und Royal Holloway London beweist an über 120 Versuchspersonen: Das Sexualhormon mit dem schlechten Ruf kann faires Verhalten fördern, wenn dies dazu dient, den eigenen Status zu sichern.

    Wissenschaftliche Populärliteratur, Kunst und Medien schrieben dem wohl bekanntesten Geschlechtshormon seit Jahrzehnten eine Rolle zu, die für Aggressivität steht. Die Forschung schien dies zu bestätigen - führte doch die Kastration männlicher Nagetiere zu einer Reduktion der Streitlust der Tiere untereinander. Über die Jahrzehnte erwuchs so das Vorurteil, Testosteron verursache aggressives, riskantes und egoistisches Verhalten. Doch von solchen Versuchen bei Tieren zu folgern, Testosteron wirke bei uns Menschen gleich, hat sich nun als Fehlschluss erwiesen, wie eine gemeinsame Studie des Neurowissenschaftlers Christoph Eisenegger und der Ökonomen Ernst Fehr, beide Universität Zürich, und Michael Naef, Royal Holloway, London, zeigt. "Wir wollten überprüfen, wie das Hormon auf das Sozialverhalten wirkt", erklärt Dr. Christoph Eisenegger und fügt bei: "Uns interessierte die Frage: Was ist Wahrheit, was ist Mythos?"

    Für die in der renommierten Fachzeitschrift "Nature" erschienene Studie nahmen rund 120 Versuchspersonen an einem Verhandlungsexperiment teil, in welchem über die Aufteilung eines realen Geldbetrages verhandelt wurde. Dabei ermöglichten die Regeln, sowohl faire als auch unfaire Angebote zu machen. Anschliessend konnte der Verhandlungspartner das Angebot annehmen oder ablehnen. Je fairer das Angebot, desto unwahrscheinlicher war es, dass der Verhandlungspartner ablehnt. Wenn keine Einigung zustande kam, dann verdienten beide Parteien gar nichts.

    Vor dem Spiel erhielten die Versuchspersonen entweder eine Dosis von 0.5 mg Testosteron oder ein entsprechendes Scheinpräparat verabreicht. "Würde man der gängigen Meinung folgen, wäre zu erwarten, dass die Versuchspersonen mit Testosteron eine aggressive, selbstbezogene und riskante Strategie wählen - ungeachtet der möglichen negativen Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess", erläutert Eisenegger.

    Fairer mit Testosteron

    Das Ergebnis der Studie lehrt jedoch das Gegenteil. Versuchspersonen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten durchgehend die besseren, faireren Angebote als diejenigen, die Scheinpräparate erhielten. Sie reduzierten so das Risiko einer Zurückweisung ihres Angebotes auf ein Minimum. "Damit ist das Vorurteil, Testosteron trage beim Menschen ausschliesslich zu aggressivem oder egoistischen Verhalten bei, hinlänglich widerlegt", resümiert Eisenegger. Stattdessen legen die Resultate nahe, dass das Hormon die Sensitivität für den Status erhöht. Bei Tierarten mit relativ einfachen sozialen Systemen mag sich ein erhöhtes Statusbewusstsein in Aggressivität ausdrücken. "In der sozial komplexen Umwelt des Menschen sichert nicht Aggression, sondern pro-soziales Verhalten den Status", vermutet Studienmitautor Michael Naef von Royal Holloway London. "Wahrscheinlich ist es nicht das Testosteron selbst, das Fairness fördert oder aggressiv macht, sondern das Zusammenspiel zwischen dem Hormon und der sozial differenzierten Umwelt."

    Darüber hinaus zeigt die Studie, dass die Volksweisheit, das Hormon mache aggressiv, offenbar tief sitzt: Jene Versuchspersonen, die glaubten, das Testosteronpräparat und nicht das Scheinpräparat erhalten zu haben, fielen durch äusserst unfaire Angebote auf. Möglicherweise wurde die Volksweisheit von diesen Personen als Legitimation benutzt, sich unfair zu verhalten. Der Ökonom Michael Naef meint dazu: "Es scheint, dass nicht Testosteron selbst zu Aggressivität verleitet, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon. In einer Gesellschaft, in der immer mehr Eigenschaften und Verhaltensweisen auf biologische Ursachen zurückgeführt und teils damit legitimiert werden, muss dies hellhörig machen." Die Studie zeigt deutlich den Einfluss von sozialen und biologischen Faktoren auf menschliches Verhalten.

    Originalbeitrag:
    Christoph Eisenegger, Michael Naef, Romana Snozzi, Markus Heinrichs, Ernst Fehr: Prejudice and truth about the effect of testosterone on human bargaining behaviour, Nature, doi:10.1038/nature08711

    Kontakte:

    Michael Naef, Experimental Economics Laboratory, Department of Economics, Royal Holloway, University of London Egham, U.K.
    Tel: +44 1784 414 016 (landline)
    Tel: +44 78 532 974 26 (mobile)
    E-Mail: michael.naef@rhul.ac.uk

    Dr. Christoph Eisenegger, Labor zur Erforschung Sozialer und Neuraler Systeme, Institut für Empirische Wirtschaftsforschung, Universität Zürich
    Tel: +41 44 634 4809
    E-Mail: eisenegger@iew.uzh.ch


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Medizin, Psychologie, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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